Das Desaster der documenta fifteen und linke Probleme

Ein Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, das in Teilen antisemitische Abbildungen zeigte und daraufhin verhangen und später ganz abgebaut wurde. (Foto: C.SuthornEigenes Werk, CC BY-SA 4.0)

Das fachwissenschaftliche Urteil zur, gelinde ausgedrückt, verkorksten documenta fifteen im Sommer 2022 ist gefallen. Und der 133 Seiten starke Abschlussbericht lässt offenbar zu Recht kaum ein gutes Haar an allen Beteiligten. Die sieben Wissenschaftler*innen schreiben einführend unter anderem:

Die Reaktionen der verantwortlichen Akteure auf Seiten der documenta – der künstlerischen Leitung einerseits und der Geschäftsführung andererseits – waren dem Ernst der Vorfälle nicht angemessen beziehungsweise haben die Situation verschärft. Während die künstlerische Leitung ihre Verantwortung für Zusammenstellung und Inhalt der Ausstellung dazu nutzte, kritische Kontextualisierungen oder weitere Entfernungen von Werken abzuwehren, vertrat die Geschäftsführung ein rein passives Verständnis ihrer Rolle, das der Letztverantwortung der öffentlichen Hand für die documenta nicht gerecht wurde.

Die zögerliche Reaktion der documenta auf Fälle von Antisemitismus war für viele jüdische Bürger*innen und Organisationen verstörend. Antisemitische Vorfälle sind für Jüdinnen und Juden kein rein diskursives Phänomen, sondern sie bedrohen ihre gesellschaftliche Teilhabe, ihre Sicherheit und ihre Zukunft in Deutschland als Land der Shoah.

Das Gremium liefert auch sechs Vorschläge, wie man den Laden in Zukunft organisieren könnte, ohne dass alle mit dem Finger auf andere zeigen und die Verantwortung nie bei sich sehen. Dass das noch zu Problemen führen könnte, bringt Süddeutsche-Redakteur Jörg Häntzschel in seiner scharfsinnigen Analyse (hinter der Paywall) auf den Punkt:

In Hessen und Kassel wird man schon diese Vorschläge mal wieder als empörende Übergriffe empfinden. Während die Documenta überall sonst als Leuchtpunkt deutscher Kultur verstanden wird, hält man sie dort für ein Lokalereignis mit globaler Relevanz und verbittet sich Einmischungen aus Berlin und von anderswo. Dabei zeigt dieser Bericht überdeutlich, wie den Verantwortlichen die vergangene Documenta entglitten ist. Allen müsste daran gelegen sein, dass sich das nicht wiederholt.

Demut ist hier vielleicht das falsche Wort, um zu beschreiben, was Kassel jetzt dringend braucht. Aber mindestens mal ein radikaler Realitätsabgleich scheint wirklich angebracht. Aus meiner Sicht sind die Vorkommnisse jedenfalls alle maximal beschämend.

Vielleicht musste es aber auch irgendwann so kommen. Jedenfalls hat mich eine Anekdote aus Episode 114 von Piratensender Powerplay – obwohl es in diesem Gespräch um’s Klima geht – auch an das Problem documenta fifteen denken lassen. Friedemann Karig erklärt das (ab 28:34 min) so:

Und diese Leute in der Mitte, das ist die Parallele zum Critical-Whiteness-Diskurs, wo zum Beispiel die Antirassismus-Trainerinnen immer sagen, die schwierigsten Kundinnen, das sind die Linken. Weil die Rechten sagen entweder, ihr könnt mich mal, ist mir alles scheißegal. Oder die können vielleicht zugeben: Ja, stimmt, manchmal hab ich doch auch einen gewissen Rassismus in mir, aber das ist ja normal, oder der ist ja auch gesund, oder die sind schuld. Aber dass den Linken dieser Satz über die Lippen kommt, „Da hab ich mich auch rassistisch verhalten“, ist ein ganz anderer Identitätskonflikt.

Also haben die lieber alles krachend vor die Wand fahren lassen, als selbst in den Spiegel zu schauen, Fehler einzugestehen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen?